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„Nichts­tun“ als Stra­te­gie

Störung durch Borkenkäfer im Schutzgebiet

Wäl­der, die sich natür­lich und weit­ge­hend ohne mensch­li­chen Ein­fluss ent­wi­ckeln, füh­ren nicht zu einer Zunah­me von Stö­run­gen – das belegt eine aktu­el­le Stu­die, die For­schen­de der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Mün­chen (TUM) im Wis­sen­schafts­ma­ga­zin „Jour­nal of Appli­ed Eco­lo­gy“ ver­öf­fent­licht haben. Die Wis­sen­schaft­le­rin­nen haben deutsch­land­weit Wald­stö­run­gen durch Bor­ken­kä­fer­be­fall, Wind­wurf oder Dür­re in aktiv bewirt­schaf­te­ten und auf still­ge­leg­ten Flä­chen unter­sucht. Dabei ver­gli­chen sie Wirt­schafts­wäl­der mit Wald­schutz­ge­bie­ten ver­gleich­ba­rer Arten­zu­sam­men­set­zung, Kli­ma­si­tua­ti­on und Gelän­de­form. 314 sol­cher rund 20 Hekt­ar gro­ßen „Paa­re“ aus bewirt­schaf­te­ten Wäl­dern und seit min­des­tens 35 Jah­ren unter Schutz gestell­ten Wäl­dern gin­gen in die Stu­die ein.

Wald­stö­run­gen neh­men im Kli­ma­wan­del welt­weit zu und stel­len die Wald­be­wirt­schaf­tung vie­ler­orts vor gro­ße Her­aus­for­de­run­gen. Gleich­zei­tig gilt die Still­le­gung von Wäl­dern und das Zulas­sen einer natür­li­chen Dyna­mik ohne Ein­fluss des Men­schen für den Natur­schutz als zen­tra­ler Ansatz, um dem Ver­lust der bio­lo­gi­schen Viel­falt ent­ge­gen­zu­wir­ken. Die auch von Deutsch­land rati­fi­zier­te glo­ba­le Bio­di­ver­si­täts­rah­men­kon­ven­ti­on, unter­zeich­net im Jahr 2022 in Mont­re­al, sieht daher die Schaf­fung wei­te­rer Schutz­ge­bie­te vor. „Die ver­mu­te­te Zunah­me natür­li­cher Stö­run­gen wird jedoch oft als Argu­ment gegen die Schaf­fung neu­er Wald­re­ser­va­te ange­führt. Groß ange­leg­te Stu­di­en zum Stö­rungs­re­gime in Wald­schutz­ge­bie­ten im Ver­gleich zu bewirt­schaf­te­ten Wäl­dern fehl­ten jedoch bis­her. Aus einem sol­chen Ver­gleich kön­nen auch wich­ti­ge Hin­wei­se zur künf­ti­gen Behand­lung von Wäl­dern abge­lei­tet wer­den“, so die Erst­au­torin der Arbeit, Kirs­ten Krü­ger von der TUM.

„Unse­re zen­tra­le For­schungs­fra­ge lau­te­te: Sind Wäl­der ohne Bewirt­schaf­tung tat­säch­lich stär­ker von Stö­run­gen durch Wind, Bor­ken­kä­fer und Dür­re betrof­fen als aktiv bewirt­schaf­te­te Wäl­der?“, erläu­tert Prof. Rupert Seidl, For­schungs­lei­ter im Natio­nal­park Berch­tes­ga­den und Lei­ter des Lehr­stuhls für Öko­sys­tem­dy­na­mik und Wald­ma­nage­ment an der TUM, der die Stu­die lei­te­te. Er fasst zusam­men: „Für Deutsch­land lau­tet die Ant­wort ein­deu­tig: Nein.“ Krü­ger ergänzt: „Auf Basis von Satel­li­ten­da­ten für die Jah­re 1986 bis 2020 konn­ten wir nach­wei­sen, dass nut­zungs­freie Wald­schutz­ge­bie­te durch­schnitt­lich eine um 22 Pro­zent gerin­ge­re Stö­rungs­ra­te und eine um 32 Pro­zent gerin­ge­re Stö­rungs­stär­ke auf­wie­sen als ver­gleich­ba­re, aktiv bewirt­schaf­te­te Wäl­der. Der Unter­schied zwi­schen Wald­re­ser­va­ten und Wirt­schafts­wäl­dern war dabei vor allem in Jah­ren mit extre­men Stür­men oder Dür­ren stark aus­ge­prägt.“

Aus den For­schungs­er­geb­nis­sen las­sen sich nach Ansicht der For­schen­den wich­ti­ge Erkennt­nis­se ablei­ten: „Schutz­ge­bie­te kön­nen in unse­re Wald­land­schaf­ten inte­griert wer­den, ohne die Gefahr durch Stö­run­gen zu erhö­hen. Dies bestä­tigt nicht zuletzt auch den Erfolg des in Deutsch­land prak­ti­zier­ten Schutz­ge­biets­ma­nage­ments. Gleich­zei­tig kön­nen wir gera­de nach Stö­run­gen zusätz­lich zum akti­ven Manage­ment auch natür­li­che Pro­zes­se der Reor­ga­ni­sa­ti­on nut­zen, um unser Ziel von struk­tu­rier­ten und diver­sen Wäl­dern zu errei­chen“, so Seidl.

Die For­schungs­er­geb­nis­se sind bun­des­weit von gro­ßer Rele­vanz für Schutz­ge­bie­te wie Natio­nal­parks, Wild­nis­ge­bie­te, Natur­wald­re­ser­va­te und ande­re unge­nutz­te Wald­flä­chen. Auch Peter Süd­beck, Vor­stands­vor­sit­zen­der von Natio­na­len Natur­land­schaf­ten e. V. – dem Dach­ver­band der deut­schen Natio­nal­parks, Wild­nis­ge­bie­te und Bio­sphä­ren­re­ser­va­te – begrüßt die Resul­ta­te: „Das Zulas­sen natür­li­cher Dyna­mik in Wäl­dern ist ein zen­tra­les Ele­ment zum Erhalt der bio­lo­gi­schen Viel­falt in die­sen Lebens­räu­men. Dass der Natur­schutz­grund­satz ‚Natur Natur sein las­sen‘ nicht zu ver­stärk­ten Wald­stö­run­gen führt, kann zur Ver­sach­li­chung vie­ler Dis­kus­sio­nen rund um unse­re von Wald gepräg­ten Groß­schutz­ge­bie­ten bei­tra­gen.“

Foto: Rupert Seidl

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