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Neue Serie: Mär­chen, Mythen und Sagen aus dem Harz – Die Oster­jung­frau von Oster­ode

Der Graf von Oster­ode war ein sehr rei­cher, außer­or­dent­lich täti­ger und bedeu­ten­der Mann, der viel für das Land getan hat­te. Als er starb, wur­de sein frü­her Tod von allen sei­nen Unter­ge­be­nen leb­haft betrau­ert. Sei­ne Toch­ter hat­te er vor sei­nem Ende einem treu­en Knap­pen über­ge­ben, damit er die Ver­wais­te bewa­che und beschüt­ze. Kurz nach dem Tode des Gra­fen von Oster­ode brach ein Krieg aus, und vie­le Rit­ter kamen durch die Stadt und auf die Burg. Allen gefiel die lieb­li­che Wai­se, und einer der Rit­ter, ein wil­der, frem­der Mensch, begehr­te sie zur Frau. Das Mäd­chen aber ver­ab­scheu­te den fins­te­ren Mann und sag­te ihm, er möge sich das aus dem Sinn schla­gen; denn nie­mals wür­de sie sei­ner in Lie­be geden­ken.

Das empör­te den Krie­ger, und wil­de Dro­hun­gen aus­sto­ßend, zog er fort. Nicht lan­ge währ­te es, da kam er, von vie­len Rit­tern gefolgt, zurück und begehr­te aber­mals die Jung­frau zur Frau. Als die­se ihm aber erneut eine abschlä­gi­ge Ant­wort gab, rief er zor­nig: »Hüte dich und hand­le nicht vor­schnell, denn ich bin mäch­tig und zwin­ge dich mit Gewalt!« Doch furcht­los schick­te das Mäd­chen den läs­ti­gen Wer­ber zum zwei­ten Mal fort. Da kam der Rit­ter zum drit­ten Mal, und mit ihm ein gro­ßer Volks­hau­fen, der alles umher ver­wüs­te­te und die Burg bela­ger­te. Der alte, treue Knap­pe ver­ei­tel­te lan­ge alle Angrif­fe. End­lich aber konn­te die erschöpf­te Besat­zung den Kampf nicht mehr wei­ter­füh­ren. Tri­um­phie­rend drang der Rit­ter mit sei­nem Gefol­ge ein.

Jetzt, so glaub­te er fest, wür­de das Burg­fräu­lein ihm wil­lig die Hand rei­chen, da sie sähe, dass ihr kein wei­te­rer Aus­weg blieb. Aber er hat­te sich geirrt, denn eben­so ent­schie­den wie frü­her wei­ger­te sie sich auch jetzt, die hart Bedräng­te.

Da kann­te sei­ne Wut kei­ne Gren­zen. »Unglück­se­li­ge!« schrie er, »wis­se denn, dass ich drei­mal gegen die Moh­ren gekämpft habe und dass ein Schwarz­künst­ler im Moh­ren­lan­de mich den Zau­ber gelehrt hat, dich in einen Hund zu ver­wan­deln, der über dei­nes Vaters Schät­ze wacht.«

»Das alles muss ich mir gefal­len las­sen,« ent­geg­ne­te das Edel­fräu­lein, »denn dei­ner Macht kann ich nicht wider­ste­hen; hei­ra­ten aber wer­de ich dich nie!«

Bei die­sen Wor­ten ergriff der Rit­ter die Wehr­lo­se und schlepp­te sie in den Kel­ler, wo die Schät­ze des Gra­fen lagen. Hier ver­wan­del­te er sie in einen schwar­zen Hund, der gefes­selt an schwe­rer Ket­te die auf­ge­häuf­ten Reich­tü­mer bewa­chen muss­te. Aus die­ser Ver­zau­be­rung soll­te nur ein Rit­ter, der keusch und from­men Her­zens sei, die Unglück­li­che erlö­sen. An jedem Oster­mor­gen durf­te sie in ihrer wah­ren Gestalt den Kel­ler auf kur­ze Zeit ver­las­sen. So ging sie denn all­jähr­lich an die­sem Tage den Berg hin­un­ter und wusch sich im Ler­ba­cher Was­ser ihre Füße.

Als an einem Oster­mor­gen in aller Frü­he ein armer Lei­ne­we­ber bei der alten Burg vor­bei­ging, sah er unten am Was­ser eine lieb­li­che Gestalt. Neu­gie­rig trat er näher. Als der Mann zu sei­nem Stau­nen eine schö­ne Lilie an der Brust der Jung­frau gewahr­te, frag­te er: »So früh und schon eine Lilie?«

»Ja,« ent­geg­ne­te die­se, »wenn Ihr auch eine haben wollt, so kommt nur mit mir.« Gern folg­te der Lei­ne­we­ber der wei­ßen Gestalt, die ihm vor­an den Berg hin­auf schritt und vor dem Kel­ler, in den sie gebannt war, ste­hen blieb. Vor des­sen Ein­gang aber stand ein Strauch der schöns­ten Lili­en, und von die­sen brach sie eine, reich­te sie dem armen Man­ne und stieg dann in den Kel­ler zurück. Der Lili­en­strauch aber war ver­schwun­den. Der Lei­ne­we­ber ging heim. Unter­wegs merk­te er, dass die Blu­me schwe­rer und schwe­rer wur­de. Als er end­lich zu Hau­se ange­langt war, da war die Lilie vom schöns­ten Gol­de und Sil­ber. Der Jubel, dass es nun ein Ende hat­te mit der Armut der glück­li­chen Fami­lie, woll­te kein Ende neh­men. Die Zau­ber­li­lie kauf­te ihm der Her­zog ab und nahm sie in sein Wap­pen auf.

Als dann der Drei­ßig­jäh­ri­ge Krieg ins Land zog und alles durch Kriegs­volk über­schwemmt wur­de, kamen auch vie­le Sol­da­ten durch Oster­ode. So geschah es denn, dass am Oster­mor­gen zu frü­her Stun­de einst ein Rei­ter bei der Burg vor­bei­spreng­te, gera­de zu der Zeit, da die Jung­frau sich wie­der am Was­ser wusch. Ver­wun­dert blick­te der Sol­dat auf die lieb­li­che Erschei­nung, stieg vom Pfer­de und trat dicht an sie her­an. Als er ihr einen guten Mor­gen bot und dabei eine präch­ti­ge Rose an ihrer Brust gewahr­te, frag­te er erstaunt: »So früh und schon eine Rose?« Wie­der­um ent­geg­ne­te die Jung­frau: »Ja, wenn Ihr auch eine sol­che haben wollt, so kommt nur mit mir.«

Der Rei­ter folg­te ihr und erblick­te vor dem Kel­ler einen präch­ti­gen, glü­hen­den Rosen­strauch. Nach­dem die Jung­frau eine der Blu­men gebro­chen und dem Sol­da­ten dar­ge­reicht hat­te, woll­te sie aber­mals schnell in den Kel­ler hin­un­ter. Doch noch ehe sie die Tür zu schlie­ßen ver­moch­te, war ihr der Rei­ter gefolgt und stieß sie mit Gewalt wie­der auf. Die wei­ße Gestalt aber war ver­schwun­den, und vor ihm lag nur ein schwar­zer Hund an eiser­ner Ket­te. Furcht­los ergriff der Kriegs­mann die Ket­te und zer­riss die­sel­be mit kräf­ti­ger Hand. In dem­sel­ben Augen­blick, da die Tei­le klir­rend zu Boden fie­len, stand die Toch­ter des Gra­fen von Oster­ode in vol­ler Schön­heit und Jugend vor ihrem Erlö­ser. Der Sol­dat war ein hoher Offi­zier aus edlem, alten Geschlech­te, keusch und from­men Her­zens; so war es ihm mög­lich gewe­sen, die Unglück­li­che aus dem Ban­ne zu erlö­sen.

Die Jung­frau wur­de die Gemah­lin ihres Befrei­ers und zog mit ihm nach Frank­reich, wo sei­ne Hei­mat war; auch die Schät­ze des Vaters nah­men die Glück­li­chen mit sich fort.

Foto: pix­a­bay

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