Vor langer Zeit lebte am Harzrand – dort wo jetzt das Städtlein Blankenburg liegt – eine Hünin, Blanka mit Namen. Die war so schön, dass alle Riesen selbst von weither kamen, um sie zum Weibe zu gewinnen. So leicht konnte man ihr Herz aber nicht bezwingen, denn überall war bekannt, dass nur derjenige Blanka freien dürfe, der sie auch im Kampf zu Boden bringe. Viele versuchten es, rangen mit ihr, hieben mit dem Schwert auf die Angebetete ein, doch niemand vermochte es, sich gegen die Schöne zu erwehren. Und wer es versuchte, müsst ihr wissen, riskierte alles, denn wer gegen die Hünin kämpfte und verlor, war des Todes. Und jedem Hünen und Ritter der gefallen, setzte man einen Stein, einen Hügel, einen Felsen, je nachdem, wie groß er war und wie wacker er sich geschlagen hatte. Und bedenkt: Der Wald ist voll von solchen Anhöhen.
Irgendwann gab es Niemanden mehr in den Weiten der Harzer Berge, der mannsgenug wäre, sich der starken Hünin zu stellen. Vergeblich wartete Blanka auf den Einen, der sie durch einen einzigen Blick hätte bezwingen können. Und als sie die Hoffnung fast aufgegeben hatte, da kam doch einer, der wollte es versuchen. „Wähle die Waffe!“, sagte sie knapp, ohne ins Antlitz des neuen Anwärters zu schauen. „So nehme ich meine Zunge und wage dich zu küssen!“, antwortete er keck. Das stieß bei der Liebreizenden nicht auf Wohlgefallen, denn ohne sich nach ihm umzusehen, spannte Blanka den Bogen, schoss einen schwarzen Pfeil auf den Dreisten ab, ließ schon einen zweiten Pfeil schwirren … und bevor der erste sein Ziel erreichte zischte ein Dritter Richtung Ziel. Alle drei Pfeile wehrte der Hüne mit seinem Handrücken ab, als gelte es, lästige Fliegen zu verscheuchen. „Schön bist du, beim Mond und allen Sternen, aber schrecklich aufbrausend!“, lachte er. Da zieht sie ihr Schwert aus der Scheide, wirbelt herum, drei Schritte und ein Sprung und sticht auf ihn ein. Ein winziges Messer zieht er, streicht den entsetzlichen Hieb leicht zu Boden, reißt ihr das Eisen aus der Hand, nutzt ihren Schwung und zieht sie an seine Brust.
Dann gibt er ihr einen Kuss auf die vollen Lippen und lacht, als wär‘s bloß ein Spiel. Sie reißt sich aus der Umklammerung, zieht zwei Messer aus dem Gürtelbund, stürmt wie eine rohe Naturgewalt auf ihn ein. Und wie der Wind schnellt er herum, hat sie fest in seinem Griff und küsst ihren Hals. „Du riechst wie der Frühling, nach einem langen kargen Winter.“, schwärmt er, was sie wild und wilder werden lässt. – Der Streit währt den ganzen lichten Tag und kaum flieht die Sonne von der Erde, ist‘s ihr süßes Lächeln, das ihn blendet. Verdutzt sieht er zuletzt, wie ihr die Waffen aus den Händen gleiten, dann reißt sie ihn an sich und gibt sich unendlich sanft geschlagen. Die ganze Nacht feiern sie den Frieden nackter Leiber und schwören sich am anderen Morgen, nimmer auseinander und von hier fortzugehen! Und dabei blieb es: Er liebte sie, wie nur der Wind die Erde zu vergöttern versteht, wenn sein Kuss ein reifes Weizenfeld in Wellen taucht. Und sie? Sie gab sich diesen Wogen hin. – Als sich ihre Seelen ins Unendliche aufschwangen, kamen viele Menschen und setzten
ihnen gigantische Andenken: Stein um Stein türmten sie auf die Leichname der beiden Hünen. Bis zum heutigen Tag überragen große Felsen das weite, tiefe Land und erinnern die Menschen daran, wie allgewaltig und ewig ihre Liebe war. Die Klippen — zu denen heute noch manch Harzer Hexe pilgert, um hier ihre Weihegaben abzulegen — werden seitdem Großmutter- und Großvaterfelsen genannt!