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Mär­chen, Mythen und Sagen aus dem Harz: Got­tes Müh­len mah­len lang­sam

Ein Mül­ler aus Warn­stedt, der zugleich auch Bäcker war, hat­te ein­mal nicht genug Geld in den Taschen, so dass er mein­te, sich mit einem Kniff Gewin­ne aus­ma­len zu kön­nen. Alle sei­ne Bro­te, sag­te er – die er aus Faul­heit gar nicht geba­cken hat­te – wären gestoh­len wor­den, gestoh­len vom klei­nen Vol­ke. Das klei­ne Volk aber, das waren von Grund auf gute See­len, wirk­li­che Hel­fer, die den Men­schen stets zur Sei­te stan­den. Natür­lich wuss­te man um deren Reich­tü­mer, die sie tief unter der Erde hor­te­ten, aber nie­mand nei­de­te es ihnen, bis zu die­sem denk­wür­di­gen Moment: „Wirk­lich, ehren­wer­ter Herr Rich­ter“, schwor der Mül­ler, „ich habe in mei­ner Müh­le nächt­lich auf der Lau­er gele­gen, zuvor Mehl aus­ge­streut, da waren tips taps plötz­lich win­zi­ge, fri­sche Spu­ren zu sehen. Rasch zog ich mei­ne neun­schwän­zi­ge Peit­sche her­vor, schwang sie plötz­lich im Mahl­raum – sie­he da, stan­den zwei klei­ne Ker­le vor mir, deren Nebel­kap­pen ich vom Kop­fe gehau­en hab. Sie sol­len die Müt­zen erst wie­der­krie­gen, wenn sie ihre Schuld begli­chen haben und mit Mann und Maus von hier fort­ge­zo­gen sind!“ – Der Rich­ter ließ sich das vor­ge­ge­be­ne Urteil gefal­len, soll­te doch auch er nicht leer aus­ge­hen, was ihn der Mül­ler mit einem Blin­zeln wis­sen ließ. So muss­ten die Zwer­ge gehen – alle­samt, ob schul­dig oder nicht – und ein Jeder des klei­nen Vol­kes, der über den Jor­dan ging (so heißt das Bäch­lein in Warn­stedt) zahl­te einen Sil­ber­ta­ler Stra­fe. So vie­le Zwer­ge ver­lie­ßen die Gegend, dass der Münz­hau­fen immer grö­ßer und grö­ßer ward und Mül­ler wie Rich­ter, die­se zwie­lich­ti­gen Gestal­ten, sich schon begie­rig ihre schnee­wei­ßen Hän­de rie­ben.

Den gan­zen Tag und die gan­ze dar­auf­fol­gen­de Nacht klim­per­te Geld auf Geld, bis der Hau­fen so groß ward, dass die Erde erbeb­te, sich auf­tat und den gan­zen Hort wie­der ver­schluck­te. Da blieb den Ehren­lo­sen bloß das Jam­mern, sie hol­ten Hacke und Spa­ten und gru­ben und gru­ben und fan­den doch nichts als mensch­li­che Kno­chen, über­all. Kno­chen von ganz abnor­mer Grö­ße, Über­res­te von Rie­sen? Ganz Warn­stedt war auf Kno­chen gebaut, viel­leicht von irgend­ei­ner vor­zeit­li­chen Schlacht, einem Kampf zwi­schen Zwer­gen und Rie­sen? Das klei­ne Volk konn­te man nicht mehr fra­gen, das war ja aus­ge­zo­gen und kam auch nim­mer mehr wie­der.

Von nun an muss­ten die Men­schen selbst ihr Schick­sal mit all den schwe­ren Las­ten tra­gen, hat­ten sie doch zuge­las­sen, dass man die Hel­fer ver­jag­te. Schlim­mer aber noch, war der Fall, dass die Häu­ser lang­sam aber ste­tig brü­chig wor­den und zer­fie­len, denn da wo die Haus­geis­ter fehl­ten, die guten hel­fen­den See­len, bleibt nichts als ste­ter Zer­fall. Als ers­tes zer­fiel die Müh­le, dann das Haus des Rich­ters, bis der klei­ne Fle­cken Warn­stedt bald nichts wei­ter als Staub und Kno­chen war. „Got­tes Müh­len mah­len lang­sam aber treff­lich fein!“ lau­tet ein uraltes Sprich­wort und erin­nert dar­an, dass ein Jeder bekommt, was er ver­dient. Vor allem hier, in Warn­stedt, dass jahr­hun­der­te­lang nach der Geschich­te, Gerichts­platz (also Thing­stät­te) der Harz­gra­fen war. Wer an die­sem Platz eine Lüge sprach, den wür­den die Geis­ter holen, den wür­de Gott stra­fen, der wür­de zu Staub und Kno­chen wer­den, noch bevor das Jahr ende.

Nicht weni­ge hät­ten es ver­sucht, an der gehei­lig­ten Stel­le Warn­stedt trotzt der War­nung, die Wahr­heit etwas zu bie­gen oder zu stre­cken und noch Kei­nem ist’s gut bekom­men. – „Got­tes Müh­len“ mah­len ja viel­leicht lang­sam, so dass es scheint, als bekä­me ein Unhold sei­ne Stra­fe nicht. Doch lang­sam aber sicher steht am Ende jeder vor Got­tes Ange­sicht! Heu­te ist Warn­stedt wie­der auf­ge­baut, Ort, Kir­che und sogar die Müh­le … und alles scheint robust und schön zu sein, was zeigt: „Hier woh­nen nur red­li­che Leu­te!“ – Auch hei­ra­ten kannst du hier heu­te und dir dabei ganz sicher sein, dass dein Gemahl mit eben sei­nem Lie­bes­schwur die Wahr­heit sagt, denn wer hätt‘ nach der War­nung noch zu lügen gewagt!?

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