Legenden erwachen zum Leben, wenn der Brocken sich in Nebel hüllt und der April zu Ende geht. In der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai ist Walpurgisnacht – wenn der Schleier zwischen den Welten so dünn wie Spinnweben ist.
Im Jahr 1712, tief im Wald bei Schierke, lebte ein junges Mädchen namens Mara, das nie an Hexen geglaubt hatte – bis zu jener Nacht. Ihr Großvater, ein alter Förster, hatte sie stets gewarnt: „Bleib am letzten April fern vom Blocksberg. Dort tanzen die, die zwischen Licht und Schatten wandeln.“
Doch Mara, neugierig und mutig, folgte in dieser Nacht dem Schein flackernder Feuer, der sich wie eine Fata Morgana über die Baumwipfel zog. Je höher sie stieg, desto leiser wurde der Wald – bis auf ein seltsames Summen, das wie uralte Gesänge klang. Auf der Brockenklippe angekommen, erstarrte sie: Um ein gewaltiges Feuer tanzten Gestalten in wallenden Gewändern. Manche mit Kränzen, andere mit Hörnern und alle schienen von einem unsichtbaren Rhythmus getragen.
Plötzlich drehte sich eine der Tänzerinnen zu Mara um. Ihre Augen waren wie flüssiges Silber. „Du hast den Ruf gehört“, sagte sie. „Willst du wissen, wer du wirklich bist?“ Mara nickte – und trat in den Kreis. Die Flammen loderten auf. Die Sterne zogen sich zurück und die Nacht nahm sie auf.
Seitdem, so heißt es, erscheint in jeder Walpurgisnacht eine junge Frau auf dem Brocken, deren Augen silbern leuchten und die durch den Nebel führt – aber nur jene, die wirklich suchen.
Autor unbekannt