Braunlage hat ein geheimes Wahrzeichen, das früher beliebtes Wanderziel war: die Kamelfichte. Tausende von Menschen standen davor und fragten sich: „Wie ist das nur möglich?“ Tausende Kinder saßen darauf und ritten in ihrer Phantasie in ferne Welten.
Der auf der Achtermannshöhe, einem windumsausten Ort, stehende Baum überlebte zwei Kronenschäden im frühen im 18. Jahrhundert. Die gekeimte Fichte wurde im April 1937 zum Naturdenkmal erklärt. Anstatt aber zu Grunde zu gehen, wuchs sie weiter, heilte ihre Wunden und wurde zu dem Wunder, dass von Harzern und Touristen gleichermaßen bestaunt wurde.
Die Kamelfichte wuchs in einer ungewöhnlichen Formation mit zwei Höckern parallel zum Boden, bevor sie sich vertikal auf zwölf Meter Höhe erhob. Die charakteristische Form des Baums, die an ein Kamel erinnerte, machte ihn zu einem beliebten Motiv auf Ansichtskarten und Symbol der Harzregion. Eine Hinweistafel markiert den ursprünglichen Standort des Baums nahe dem Wanderweg zum Gipfel der Achtermannshöhe auf 925 Metern Höhe. Im Jahr 2016 wurde eine Nachbildung des charakteristischen Stamms erstellt und am Kurteich im benachbarten Braunlage aufgestellt.
Die Wuchsform der Kamelfichte erinnerte zuletzt tatsächlich an ein zweihöckriges Kamel, doch nicht nur dies. Denk einmal dran, dass ein Kamel drei Wochen ohne Wasser leben kann und dabei so viel Gewicht durch die Wüste trägt, wie es selber wiegt. Wie widerstandsfähig, wie kraftvoll und entschlossen ist solch ein Geschöpf. Für mich verkörpert die sagenumwobene Kamelfichte das gleiche: Viele Dinge passieren in einem Baum- oder Menschenleben, die uns zerbrechen können. Die Stärksten und Entschlossensten stehen nach einem Umbruch wieder auf, klopfen sich den Staub von den Kleidern und machen lächelnd weiter, das nenne ich wahre innere Kraft (heute Resilienz genannt)!
Leider ist die Kamelfichte vor etwa 30 Jahren abgestorben – ob zu viele Menschen den Baum für Fotomotive traktierten oder es einfach an ihrer Zeit war zu gehen, weiß ich nicht zu sagen. Was ich aber weiß ist, dass ihre Überreste heute im Kurpark Braunlages stehen, auf einer kleinen Insel im Gondelteich, um uns noch heute daran zu erinnern, in einem Sturm gut verwurzelt zu bleiben, und auch trotz mancher Hals- und Beinbrüche frohgemut weiterzumachen. Es heißt, wer vor der Kamelfichte steht und sie nur ansieht, schöpft neuen Mut, um „aus alten Wunden geduldig neue Blätter zu treiben, ausgesöhnt zu gesunden“, sprich: trotz allem Hoffnung zu bekunden!
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