Halberstadt (red). Nach zwanzig Jahren hat das Gleimhaus – Museum der deutschen Aufklärung eine neue Präsentation entwickelt, die nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart in den Blick nimmt. Themen des Hauses werden barrierearm vermittelt. Mit der Eröffnung der Ausstellungsebene für Kinder Ende November ist die Dauerausstellung im „Gleimhaus – Museum der deutschen Aufklärung“ komplett. Im Monat zuvor war die neue ständige Ausstellung im Beisein von Sachsen-Anhalts Staats- und Kulturminister Rainer Robra sowie Halberstadts Oberbürgermeister Daniel Szarata eröffnet worden. Das Gleimhaus bewahrt die Sammlungen des Dichters und Halberstädter Domsekretärs Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719-1803), bestehend aus der größten Porträtgemäldesammlung der deutschen Aufklärung sowie einer umfangreichen Bibliothek und einem Literaturarchiv.
Aufklärung wird nun in dem seit 1862 existierenden Museum nicht ausschließlich als Bewegung der Vergangenheit, sondern auch als Aufgabe der Gegenwart vermittelt. „Die Themenschwerpunkte Aufklärung, Freundschaft, Toleranz und Humanität sind die Ankerpunkte der Ausstellung – und natürlich Gleim mit seinem Leben, Wirken und seinen wunderbaren Sammlungen“, fasste die Direktorin, Dr. Ute Pott, die Ausrichtung der Ausstellung zusammen. Die Ausstellung zeigt, dass in der Epoche der Aufklärung neben der Kategorie der Vernunft auch die Emotionalität eine immer größere Bedeutung einnahm. Auch werden die „Schattenseiten“ der Aufklärung (z. B. beginnender Kolonialismus oder die Folgen des Versuchs der Naturbeherrschung) thematisiert. Im Erdgeschoss sind in Form eines Demonstrationszuges wichtige Protagonisten der Aufklärung mit einschlägigen Slogans versammelt. Diesen Gedanken – auch mit der Einladung, sie für die Gegenwart nutzbar zu machen – begegnet man am Ende des Rundgangs erneut. Fragen werden aufgeworfen nach dem „öffentlichen Gebrauch der Vernunft“ (Kant) auch in unserer Gegenwart und zur Notwendigkeit der Selbstreflexion im Dialog.
Gleim war der erste im deutschsprachigen Bereich, der ein literarisches Nachlassbewusstsein entwickelt und der schon im 18. Jahrhundert für die Mehrung, Sicherung und Nutzung seiner Sammlung gesorgt hat. Er wurde durch seine Sammlungstätigkeit, seine Gründung einer Stiftung und durch das Ordnen und Beschriften der Handschriften zum Begründer des ersten deutschen Literaturarchivs. Gleim ist in der Ausstellung mehrfach zu erleben. Als Figur sitzend am Tisch im Freundschaftstempel, sprechend bei den Hörführungen und – im ersten Ausstellungsraum – repräsentiert durch ein großes, pochendes Freundschaftsherz unter seinem Porträt. Ohne Gleims Freundschaftskultur wäre das literarische Leben im 18. Jahrhundert ärmer gewesen und die Halberstädter Sammlungen nicht so überaus reich.
Im Sinne der Inklusion wurde die Barrieren herabgesetzt und zugleich der Erlebnis-Charakter beim Besuch des Hauses gesteigert. So wurden zahlreiche interaktive Stationen in den Museumsrundgang integriert. Wichtige Texte sind in einfacher Sprache verfasst. Eine eigene Kinderebene, die gemeinsam mit Kindern entwickelt wurde, sorgt für Entdeckungsangebote. Neu ist ebenfalls, dass das Museum auch Zugänge für Menschen mit Seheinschränkungen ermöglicht. Gleim selbst erblindete in dem Haus, was nicht nur durch die deskriptive Audioführung vermittelt wird, sondern an verschiedenen Stationen erfahrbar ist. Zahlreiche Informationen werden auch in Braille-Schrift geboten. Eine wichtige neue Rolle nimmt die Homepage ein, die einem breiteren Publikum die Möglichkeit gibt, den Besuch vor- und auch nachzubereiten.
Alle Maßnahmen dienen dazu, die Aufgabe des Gleimhauses als „Museum der Aufklärung“ stärker zu profilieren und Partizipation sowie Selbstreflexion zu ermöglichen. Die neue Ausstellung wurde gefördert vom Land Sachsen-Anhalt und von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Das Haus und die Sammlungen sind Eigentum der Stadt Halberstadt, die Betreibung wird über einen Trägerverein realisiert. Das Gleimhaus ist neben 22 weiteren Einrichtungen in das Blaubuch der Bundesregierung als „Kultureller Gedächtnisort von nationaler Bedeutung“ aufgenommen.
Foto: Gleimhaus