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Mär­chen, Mythen und Sagen aus dem Harz: Die Sagen von den Zwer­gen von Wer­ni­ge­ro­de

Rings um Wer­ni­ge­ro­de wohn­ten hun­der­te von Zwer­gen; in den Ber­gen, im Tier­gar­ten, ja selbst in den Tei­chen hat­ten sie ihre Schlupf­win­kel; dort, wo jetzt der Teich­damm sich befin­det, war ehe­mals ein wirk­li­cher Teich; die Zwer­ge aber, die den­sel­ben bewohn­ten, nann­te man Nickel. Waren sie auf dem Lan­de gewe­sen und woll­ten wie­der hin­ab in ihre Behau­sung, so schlu­gen die Klei­nen mit einer Rute auf das Was­ser, – sofort teil­te sich das­sel­be und tat sich wie­der zu, wenn die Zwer­ge hin­durch­ge­schrit­ten waren. Oft nah­men die Nickel auch Kin­der mit in ihre Höh­len, wel­che unter dem Tei­che lagen und von Gold und Sil­ber strotz­ten; dar­um fürch­te­ten die Bewoh­ner von Wer­ni­ge­ro­de sich sehr vor ihnen.

Eine Frau, die in Rös­chen­ro­de wohn­te, hat­te ein klei­nes Kind, wel­ches gar nicht gedei­hen woll­te. Anfangs war es rund und voll gewe­sen, hat­te ein nied­li­ches Gesicht­chen gehabt, plötz­lich aber wur­de es grau und mager, und nur der Kopf nahm an Stär­ke zu, ja, er wur­de unge­stal­tet dick. Die Mut­ter härm­te sich über die Ver­wand­lung, die mit ihrem Lieb­ling vor­ge­gan­gen war, und fragt alle um Rat, aber kei­ner konn­te ihr hel­fen. Als nun das Kind sechs Wochen alt war, nahm es die Frau, um mit ihm in die Kir­che zu gehen und es ein­seg­nen zu las­sen, wie das damals Brauch war.

Kaum aber hat­te sie die gro­ße Brü­cke betre­ten, die nach Wer­ni­ge­ro­de führ­te, als aus dem Was­ser her­aus eine gro­be Stim­me rief: »Kuhl­kropf, wo willst Du hin?« Wie erschrak aber die gute Frau, als ihr klei­nes, sechs Wochen altes Kind mit kräf­ti­ger Stim­me ent­geg­ne­te: »Ich will nach der Lie­ben-Frau­en und mich las­sen wei­hen, Dass ich mag gedei­hen.«

Auf ein­mal wur­de es ihr klar, dass sie einen Nickel anstatt ihres eige­nen Kin­des gehegt und gepflegt hat­te, und laut auf­schrei­end warf sie das klei­ne Geschöpf ins Was­ser. Die Flu­ten teil­ten sich, und der Zwerg war ver­schwun­den. Als aber die Frau kla­gend und jam­mernd über den Ver­lust ihres gelieb­ten Kin­des zu Hau­se wie­der anlang­te, da, zu ihrer größ­ten Freu­de, lag das klei­ne Wesen so rosig und lieb­lich wie nie zuvor in sei­ner Wie­ge und schlum­mer­te.

Auch die Zwer­ge vom Kreuz­ber­ge hat­ten einer Mut­ter ihr Kind ver­tauscht und die­se merk­te es lan­ge nicht. End­lich kam sie hin­ter den Betrug; um sich aber voll­ends zu über­zeu­gen, hol­te sie eine hal­be Eier­scha­le und koch­te Was­ser dar­in. Wie dies das Kind sah, frag­te es: »Mut­ter, wat wut­te da maken?« – »Dik Thee inne kooken,« war die Ant­wort. Da blick­te das klei­ne Geschöpf­chen ver­wun­dert und rief: »Sau bin ick doch sau oolt Wie de Schim­mel­voolt. Drei­mal e hacket un drei­mal e koolt, Und häw­we noch nicht eseihn in de Eier­schal Water kooken.«

Kaum hat­te das Zwerg­kind sich durch die­se Wor­te ver­ra­ten, als es auch ver­schwun­den war und an sei­ner Stel­le das rich­ti­ge Söhn­chen der Leu­te stand. Der Kna­be erzähl­te sei­nen Eltern viel von den Zwer­gen, bei denen er gewohnt; dass sie immer gut und freund­lich zu ihm gewe­sen sei­en, dass er dort von Gold und Sil­ber geges­sen hät­te und des Nachts in einer Müt­ze geschla­fen habe, aber so weich und schön, wie in sei­nem Bet­te. Habe er beim Spie­len sein Zeug zer­ris­sen, so hät­te ein Zwerg nur dar­über gestri­chen und es sei wie­der heil gewe­sen, eben­so hät­ten sie jede Wun­de, die er durch Fal­len oder Sto­ßen sich zuge­zo­gen, nur durch ein­fa­ches Hand­auf­le­gen geheilt. Der Zwerg, der ihn hier­her­ge­bracht, habe ihm auch gesagt, er sol­le den nächs­ten Sonn­tag allein vor die Höh­le kom­men und ihn rufen.

Als der Sonn­tag gekom­men war, ging der Kna­be hin­aus zum Kreuz­berg, und auf sein Rufen erschien sofort einer der Zwer­ge, war aber gar nicht so freund­lich wie gewöhn­lich, son­dern schalt den Klei­nen, dass er so vie­les aus­ge­schwatzt habe. Dann gab er ihm hun­dert Taler und bestimm­te, wem davon abge­ge­ben wer­den sol­le. Als Bedin­gung aber for­der­te er, dass Fritz fer­ner­hin ver­schwie­gen sei. Außer­dem sol­le jeden Mor­gen auf dem Fens­ter­brett Geld für ihn und sei­ne Eltern lie­gen, doch jedes­mal, bevor er es her­ab­ho­le, müs­se er sich ja waschen und dür­fe auch nicht den Sei­nen ver­ra­ten, woher er das Geld näh­me. Nach­dem alles genug­sam bere­det, ging der Kna­be nach Hau­se, wo sei­ne Eltern schon ängst­lich auf ihn war­te­ten.

So wie der Zwerg gesagt hat­te, geschah es: jeden Mor­gen lagen meh­re­re Gro­schen, gera­de so viel, wie das Tage­lohn der Eltern betrug, auf dem Fens­ter­bret­te, und Fritz brach­te es alle­mal, wenn er sich gewa­schen hat­te, sei­nen Eltern. Die­se waren neu­gie­rig genug, zu erfah­ren, woher wohl der Kna­be immer das Geld näh­me; eines Mor­gens schlich des­halb die Mut­ter heim­lich dem Klei­nen nach. Sowie sie sich aber vor­beug­te, dann bekam sie einen hef­ti­gen Nasen­stü­ber, und gleich­zei­tig rief es: »So neu­gie­rig, wie Du, sind alle Frau­ens­leu­te!« Die Schmer­zen in der Nase wur­den aber bald so hef­tig, dass die Frau zum Arzt schi­cken muss­te. Da sie sich aber schäm­te, dem Dok­tor den Ursprung der Krank­heit zu sagen, konn­te die­ser ihr nicht hel­fen, und die Anschwel­lung wur­de immer schlim­mer. Als nun der Sonn­tag kam und der Kna­be wie­der zur Zwerg­höh­le ging, gab ihm einer der Zwer­ge einen Topf mit einer Sal­be dar­in und bedeu­te­te ihn, davon auf die Nase sei­ner Mut­ter zu schmie­ren, auch sonst den Inhalt bei Krank­hei­ten zu gebrau­chen, alle­mal wür­de die­se Sal­be hel­fen. Glück­lich brach­te Fritz das Töpf­chen heim und befrei­te sei­ne Mut­ter sofort von ihrer Qual.

Spä­ter muss­ten die Zwer­ge fort­zie­hen, – nach dem Ram­mels­berg zum Kai­ser Otto, wie sie sag­ten, – und da haben sie den Fritz so über­reich mit Schät­zen bedacht, dass er Rit­ter von der Har­burg wur­de und ange­se­hen und glück­lich dort noch vie­le Jah­re leb­te.

 

Foto: pix­a­bay

 

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