Braunschweig/Goslar (red). Im Missbrauchsprozess gegen ein Ehepaar aus Goslar (Harz.News berichtete), hat die Stieftochter am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Brauschweig als Hauptbelastungszeugin gegen die Angeklagten ausgesagt. Nachdem die 25-jährige in ihrer Rolle als Nebenklägerin die Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt hatte, wurde dem Antrag von der 1. Strafkammer stattgegeben. Das öffentliche Interesse an dem Prozess ist indes unvermindert groß.
Die vorsitzende Richterin Petra Bock-Hamel begründete ihre Entscheidung mit dem Schutz der Privat- und Intimsphäre der Nebenklägerin. Während die Staatsanwaltschaft den Antrag unterstützte, wollte die Verteidigung die Öffentlichkeit in das Prozessgeschehen einbeziehen.
Ehepaar ist in 20 Punkten angeklagt – Verteidigung hält Stieftochter für psychisch labil
Den Stiefeltern der Klägerin wird vorgeworfen, die junge Frau jahrelang schwer misshandelt und vergewaltigt zu haben. Zuletzt sollen die 54-jährige Angeklagte und ihr 58-jähriger Mann versucht haben, die Stieftochter zu töten, um die Missbrauchstaten zu vertuschen. Auch der Tötungsversuch ist in der Anklageschrift einer von 20 Punkten im Tatkomplex.
Der Missbrauch der Tochter wird schon zum zweiten Mal vor dem Braunschweiger Landgericht verhandelt. Zuvor war das Elternpaar bereits zu hohen Haftstrafen verurteilt worden, allerdings hatte der Bundesgerichtshof das Urteil aufgrund einer nicht ausreichenden Beweiswürdigung kassiert und den Fall zurück nach Braunschweig verwiesen. Dennoch habe die Indizienlage die ganze Zeit gegen die Stiefeltern gesprochen.
Die Verteidigung hatte bereits im ersten Prozess, in dem die Beweislage ausschließlich auf Aussagen der mutmaßlich Geschädigten beruht hatte, Zweifel an deren Aussagefähigkeit ins Spiel gebracht. Die junge Frau sei psychisch labil. Diese Labilität gehe bis hin zu sogenannten dissoziativen Phasen – einer Art psychischen Starre.
Der Prozessauftakt verlief damit nicht gerade zum Vorteil der Nebenklägerin. Richterin Bock-Hamel fragte sie daher nochmals, ob sie bei ihrem Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit bleiben wolle – die mutmaßlich Geschädigte bejahte die Frage.
Dies löste insofern Verwunderung aus, als dass die Öffentlichkeit im ersten Prozess nicht ausgeschlossen gewesen war. Die Aussage der Klägerin im ersten Prozess war nicht im Gerichtssaal sondern in einem kleinen Kreis erfolgt und auf Video aufgezeichnet worden. Diese Videoaufzeichnung wurde nun im großen Schwurgerichtssaal öffentlich abgespielt.
Alles nur Show? Stieftochter schildert Missbrauchsvorwürfe erstaunlich sachlich
Auf der Videoaufzeichnung seitens der jungen Frau ist eine erstaunlich sachliche Darstellung der Vorwürfe zu sehen. Sie macht einen selbstbewussten Eindruck und bedient sich trotz dessen, dass sie Hauptschulabschluss hat, einer „bildungssprachlichen Ausdrucksweise“. Was die Beteiligten dieser Vernehmung jedoch am meisten erstaunte, war, dass die mutmaßlich Geschädigte eine erstaunliche Gedächtnisleistung zeigte und in der Lage war, jede Tat einem Datum zuzuordnen. Der Versuch, sie dabei in Widersprüche zu verwickeln, blieb erfolglos.
Die Frage, die sich dabei nicht nur die Polizei, sondern auch Nachbarn stellten: Ist diese Frau wirklich ein Opfer von gewaltsamer Grausamkeit durch ihre Stiefeltern oder „Schlau, machtbesessen und manipulativ“? Davon gingen seinerzeit zumindest die zuständigen Ermittler der Kripo Goslar aus.
Zeugenaussagen widersprachen sich schon im ersten Prozess
Bereits vor der Wiederaufnahme des Verfahrens hatte es widersprüchliche Zeugenaussagen gegeben: Familienmitglieder sagten aus, sie hätten nie etwas von Gewalttaten wie Misshandlungen mitbekommen. Dahingegen gaben Sozialarbeiter zu Protokoll, sie hätten am Körper der Frau Verletzungen gesehen. Heute steht außer Frage, dass ihr diese Verletzungen durch ihre damalige Freundin Miriam A. zugefügt worden waren.
Die Lebensgefährtin war wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Totschlags zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt worden. A. soll an mehreren Taten, die jetzt den beiden Angeklagte zur Last gelegt werden, beteiligt gewesen sein. Im Prozess gegen Miriam A. war die Klägerin täglich von ihrer Stiefmutter ins Gericht begleitet worden – jetzt ist diese selbst angeklagt.
Der Prozess wird am kommenden Dienstag (20.8.2024) fortgesetzt.