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Mär­chen, Mythen und Sagen aus dem Harz: Die Sage von der Prin­zes­sin Ilse

Mäch­ti­ger denn heu­te rag­te in alten Zei­ten der Gip­fel des Ilsen­steins empor, damals, als er mit dem gegen­über­lie­gen­den Wes­tern­ber­ge noch ein Gan­zes bil­de­te. Auf sei­ner Höhe aber thron­te König Ilsungs Schloss. Eine lieb­li­che Toch­ter, Ilse gehei­ßen, war die Freu­de und der Stolz des grei­sen Fürs­ten. Manch‘ edler Rit­ter zog auf die Burg, um der schö­nen Ilse zu hul­di­gen.

Mit Neid sah das eine Frau, deren Haus nicht fern von dem könig­li­chen Schlos­se lag. Auch sie besaß eine Toch­ter, so alt wie Ilse. Aber kein Mensch hat­te die rot­haa­ri­ge Tru­de mit den bösen Augen und den gehäs­si­gen Reden gern. Obgleich ihre Mut­ter reich an Schät­zen war, ja rei­cher viel­leicht als der König, so moch­te doch kei­ner der Jüng­lin­ge die Tru­de zum Wei­be haben. – Auch die Alte wur­de von allen gemie­den, denn man sag­te von ihr, dass sie eine böse Zau­be­rin sei.

Einst nun woll­te ein Wan­de­rer hin­auf zur Ilsen­burg. Indes­sen war er vom wei­ten Weg so erschöpft, dass er bei der Alten und ihrer Toch­ter eine kur­ze Rast zu machen beschloss. Als nun Tru­de den Fremd­ling erblick­te, bat sie die Mut­ter drin­gend, alle ihre Küns­te anzu­wen­den, um den Fremd­ling zu fes­seln, damit er ihr Gemahl wer­de. Gern gab die Mut­ter den Bit­ten der Toch­ter nach – sie wünsch­te von Her­zen, Tru­de als die Gat­tin des ver­mut­lich vor­neh­men Rit­ters zu sehen. Heim­lich tropf­te sie dem Jüng­ling im Schlaf ein Zau­ber­ge­bräu in die Augen. Die Hexe­rei gelang! – Jun­ker Rolf blieb wirk­lich im Hau­se der Alten, und, was kei­ner vor ihm getan, er hul­dig­te der Hexen­toch­ter! Man rüs­te­te zur Hoch­zeit.

Einst aber schlen­der­te der Jüng­ling allein durch den Wald, kam in die Nähe des Schlos­ses und erblick­te die Prin­zes­sin Ilse. Da war es um ihn gesche­hen! Sich das ers­te Mal sehen und ver­lie­ben – war eins. Der Ein­druck war so mäch­tig, dass der Zau­ber der Hexe davor schwand. Als er zurück­kehr­te zu Tru­de, konn­te er nicht begrei­fen, wie sie ihm so lan­ge gefal­len hat­te. Tru­de merk­te die Ver­än­de­rung und geriet vor Wut außer sich. Schließ­lich ent­riss sich Rolf den Ban­den, in denen die bösen Frau­en ihn hiel­ten, eil­te hin­über zur Burg Ilsungs und bat den König, ihm Gast­freund­schaft zu gewäh­ren. Freund­lich bewill­komm­ten der alte Ilsung und sei­ne Toch­ter den frem­den Jun­ker.

Die ver­las­se­ne Tru­de schrie und jam­mer­te tag­aus tag­ein. Die Wit­we such­te ihr unge­bär­di­ges Kind zu beru­hi­gen; aber nichts half; und als nun gar die Kun­de zu den Ohren Tru­des drang, dass König Ilsung sei­ne Toch­ter mit dem Jun­ker Rolf ver­lobt habe, da kann­te ihre Wut kei­ne Gren­zen. Die Mut­ter blick­te mit unheim­lich rache­glü­hen­den Augen ihr ins Ant­litz.

»Har­re der Mai­nacht, Kind,« sprach die Alte dann in dump­fen Ton. Hier­auf ver­ließ sie Tru­de und betrat das Gewöl­be, in wel­chem sie ihre schwar­ze Kunst betrieb. Welch schau­ri­ger Auf­ent­halt! Rings­um­her lagen Gebei­ne, und Toten­köp­fe grins­ten mit ihren hoh­len Augen unheim­lich aus den Ecken. Die Zau­be­rin begann ein geheim­nis­vol­les Trei­ben. Oft sahen sie jetzt Köh­ler um Mit­ter­nacht den Wald durch­wan­dern, Mol­che und Schlan­gen fan­gen und nach Wur­zeln und Kräu­tern suchen.

»Har­re der Mai­nacht!« hat­te die Alte zu ihrer Toch­ter gesagt, und jetzt end­lich nah­te die Zeit. In der Nacht des ers­ten Mai­en­ta­ges herrsch­te reges Trei­ben; da rit­ten die Hexen auf Böcken und Besen­stie­len durch die Luft nach dem Bro­cken, fei­er­ten ihr Fest und tanz­ten zum Schlus­se den Schnee von dem Gip­fel. Sonst war auch Tru­dens Mut­ter unter die­ser unheim­li­chen Gesell­schaft; aber jetzt begab sich die Alte auf eine Höhe, von der aus der Ilsen­stein zu über­se­hen war. Hier zün­de­te sie ein hel­les Feu­er an und hob einen gro­ßen Kes­sel dar­über. Kurz dar­auf bro­del­te und pras­sel­te es gewal­tig dar­in.

Die Nacht war raben­schwarz. Die Wol­ken hin­gen schwer vom Him­mel her­nie­der. In die Fins­ter­nis hin­ein mal­te die Hexe mit ihrem Zau­ber­stab geheim­nis­vol­le Zei­chen, beschwor die Geis­ter des Was­sers, der Luft und der Ber­ge. Immer düs­te­rer umzog sich der Him­mel, – da plötz­lich – wie eine feu­ri­ge Schlan­ge, zuck­te ein Blitz her­nie­der! Der Him­mel war anzu­schau­en wie ein Feu­er­meer, und das Getö­se des Don­ners fand kein Ende. Dazu ström­ten aus den Wol­ken unauf­halt­sa­me Regen­güs­se her­nie­der, auf den Ber­gen und in den Thä­lern schmolz der Schnee, und gro­ße Was­ser­mas­sen wälz­ten sich von den Höhen durch die Thä­ler, immer rei­ßen­der, immer ver­hee­ren­der wer­dend. Bäu­me und Klip­pen wur­den von der Wucht der stür­zen­den Was­ser fort­ge­ris­sen und mit don­nern­dem Getö­se gegen die Fels­wän­de geschleu­dert, so dass die­se in ihren Grund­fes­ten erzit­ter­ten.

Erschreckt von dem Unwet­ter waren die Bewoh­ner des Ilsen­steins erwacht und hin­aus­ge­stürzt. Fins­ter­nis ver­hüll­te ihren Augen noch die furcht­ba­re Lage, in der sie sich befan­den; aber das Don­nern der stür­zen­den Klip­pen und das Rau­schen des ent­fes­sel­ten Was­sers sag­te ihnen, was sie zu fürch­ten hät­ten. Allein schlim­mer noch, als es irgend einer der Schloss­be­woh­ner geahnt, stand es um den Ilsen­stein; Klip­pe um Klip­pe lös­te sich von dem Anprall der vom Bro­cken stür­zen­den Flu­ten, der Burg droh­te der nahe Unter­gang. Der König, Rolf und Ilse flüch­te­ten sich höher den Berg hin­an, und von hier aus sahen sie bald ihren gelieb­ten Ilsen­stein mit furcht­ba­rem Getö­se hin­ab­stür­zen in die Tie­fe.

Und immer noch wüten­der ras­te das Wet­ter, immer näher tra­ten den Flüch­ti­gen die alles über­schwem­men­den Was­ser­mas­sen. Da – ein erneu­ter Anprall der ent­fes­sel­ten Ele­men­te, und der Fel­sen mit dem König und der Prin­zes­sin Ilse sank in die Tie­fe. Auf einer Anhö­he, die vom Unter­gan­ge ver­schont geblie­ben, hat­ten meh­re­re Köh­ler gestan­den und mit Ent­set­zen dem grau­si­gen Schau­spiel zuge­se­hen. Sie sahen die Schloss­be­woh­ner in den Flu­ten ver­sin­ken, bemerk­ten aber auch, als Ilse lang­sam hin­ab­sank, eine mäch­ti­ge Gestalt, wel­che die Prin­zes­sin auf­hob und fort­trug. Ver­mut­lich war es ein Berg­geist, der die Jung­frau ret­te­te und in sein Berg­schloss führ­te.

Die Zau­be­rin und Tru­de schau­ten dem Unter­gang tri­um­phie­rend und scha­den­froh zu. Jetzt ver­sank die gehass­te Ilse in den Flu­ten! Tru­de jauchz­te auf bei die­sem Anblick; nun wür­de Rolf zu ihr zurück­keh­ren. Denn nur um den König und sein Kind zu ver­der­ben, waren die Was­ser ent­fes­selt wor­den. – Aber Tru­de hat­te zu früh geju­belt; plötz­lich stürz­te vor ihren Augen auch Rolf in die Tie­fe und ver­schwand in den brau­sen­den Was­sern.

Anfangs stand sie starr und konn­te das Unbe­greif­li­che nicht fas­sen; hat­te doch ihre Mut­ter gesagt, ihrem Liebs­ten wür­de kein Leid gesche­hen. Als sie aber sah, dass alles ver­lo­ren war, da stieß sie einen gel­len­den, ver­zwei­fel­ten Schrei aus und stürz­te sich selbst dem Jun­ker nach, hin­ab in die Flut.

Die Mut­ter hat­te dem wahn­sin­ni­gen Tun ihres Kin­des nicht weh­ren kön­nen, zu schnell war alles gekom­men. Jetzt sank sie zu Boden und rauf­te ihr grau­es Haar, sich ankla­gend, dass sie allein die Schuld tra­ge an dem Tode ihres gelieb­ten Kin­des. Kei­ner hat die alte Hexe je wie­der gese­hen; ihr Haus zer­fiel in Schutt und Moder. Als die Schnee­mas­sen geschmol­zen und mit dem Toben des Wet­ters auch die Was­ser ver­schwun­den waren, sah man, dass die Flu­ten den Ilsen­stein aus­ein­an­der gespal­ten hat­ten. Ein Bach, fort­an nach der Prin­zes­sin Ilse genannt, schlän­gel­te sich durch die Fel­sen­trüm­mer, deren einer der Ilsen­stein heißt, wäh­rend der jen­sei­ti­ge ande­re der Wes­tern­berg genannt wird.

Die hol­de Königs­toch­ter aber wohnt noch immer im Ilsen­stein. Schon man­cher hat sie gese­hen, wenn sie im schim­mern­den Gewan­de, die Kro­ne auf den blon­den Haa­ren, aus dem Fels­spalt her­vor­ge­tre­ten ist. Dann hat sie sich im Was­ser der Ilse geba­det und ist mit Son­nen­auf­gang wie­der ver­schwun­den.

Alle, wel­che sich der Prin­zes­sin keu­schen Her­zens nähern, über­schüt­tet sie mit Wohl­ta­ten. Dem­je­ni­gen dage­gen, der arg­lis­ti­gen Her­zens die Baden­de über­ra­schen will, sprengt sie Was­ser in die Augen und ver­wan­delt ihn in eine alte, zot­ti­ge Tan­ne. Es ste­hen der Tan­nen gar vie­le In ihres Bades Näh’, – Es hat sie alle ver­zau­bert, Die keu­sche Was­ser­fee.

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