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Mär­chen, Mythen und Sagen aus dem Harz: Die Sage von der Dan­eils­höh­le

Es kam ein­mal, dass der alte stei­ner­ne Roland auf dem Markt zu Hal­ber­stadt ein Beicht­va­ter wur­de, und zwar der Beicht­va­ter eines armen geängs­tig­ten Wei­bes, wel­ches dadurch aus sei­nem Unglück geret­tet wur­de. Die Sache aber ver­hielt sich so. Nörd­lich von der Stadt, etwa eine Mei­le Weges, brei­tet sich ein dunk­ler, bewal­de­ter Höhen­zug; von sei­nem Gip­fel grü­ßen die Tür­me eines alten Klos­ters den Wan­de­rer. Viel hat der Wald geschaut in alter, wild­be­weg­ter Zeit.

Rit­ter und from­me Mön­che, Wege­la­ge­rer und aller­lei ver­lo­re­nes Volk haben hier gehaust. Dröh­nen­de Schwert­hie­be tap­fe­rer Krie­ger misch­ten sich mit Orgel­tö­nen, Kampf­ru­fe und Schel­men­lie­der mit dem from­men Ave der Mön­che. Was könn­ten die Bäu­me alles erzäh­len, deren Rau­schen so wohl­tu­end uns umfängt! Selbst auf den gro­ßen Schwe­den­kö­nig haben sie einst her­ab­ge­schaut und haben ihm Schat­ten gespen­det auf beschwer­li­chem Mar­sche, als den Hel­den sein Sie­ges­zug durch ihr Revier führ­te.

Am nörd­li­chen Abhang des Ber­ges nun, auf wel­chem sich das Klos­ter erhebt, fin­det man eine künst­lich aus­ge­haue­ne Fel­sen­höh­le. Hier leb­te einst ein Räu­ber, Dan­eil gehei­ßen. Das war ein grim­mi­ger Gesel­le, der die gan­ze Umge­gend in Angst und Schre­cken ver­setz­te. Kei­ner hat­te eine Ahnung, wo sich sein Schlupf­win­kel befand; wohl­weis­lich ver­schon­te er die nächs­te Nach­bar­schaft mit sei­nen Über­fäl­len und Raub­zü­gen. Zudem war er so vor­sich­tig, sei­nem Pfer­de die Huf­ei­sen ver­kehrt auf­zu­schla­gen, damit des­sen Spu­ren nicht zu Ver­rä­tern wer­den könn­ten. Spät am Abend, wenn es dun­kel­te, zog er hin­aus und vor Tages­an­bruch kehr­te er schon heim; kein Mensch in die­ser Gegend soll­te ihn erbli­cken. Er selbst aber sah jeden, der sich sei­ner Höh­le nah­te; denn ver­bor­ge­ne Dräh­te, wel­che im Innern mit klei­nen Glo­cken in Ver­bin­dung stan­den, hat­te er mit gros­ser Schlau­heit rings um sei­ne Behau­sung gelegt. Sowie ein Fuß die­se Dräh­te berühr­te, gaben die Glöck­chen ihm ein Zei­chen.

Eines Mor­gens hat­te er sich eben zum Schla­fen hin­ge­streckt, als der Ton einer Glo­cke ihn stör­te. Schnell sprang er auf, um zu sehen, ob ihm Gefahr dro­he, als er ein anmu­ti­ges Mäd­chen gewahr­te, wel­ches emsig beschäf­tigt war, Hasel­nüs­se zu pflü­cken.

Lei­se schlüpf­te Dan­eil aus der Höh­le – und rück­lings über­fiel er das erschreck­te Mäd­chen und trug es mit sei­nen star­ken Armen in die Höh­le. Kein Fle­hen, kein Bit­ten erlös­te die Maid aus der Gefan­gen­schaft – sie fand kein Gehör bei dem Böse­wicht. Das trost­lo­se Hann­chen muss­te bei ihm blei­ben; schon lan­ge hat­te der Wil­de sich nach einer Frau gesehnt, die ihm das Essen kochen und sei­nen Schlupf­win­kel behag­li­cher gestal­ten soll­te. Hann­chen wur­de also die Frau des Räu­bers, und er zwang sie, ihm hei­li­ge Schwü­re zu leis­ten, dass sie ihn nie ver­las­sen, noch irgend wel­chem leben­den Wesen ver­ra­ten wer­de. Der Schwur des Wei­bes beru­hig­te Dan­eil voll­kom­men. Er hat­te bald erkannt, wie got­tes­fürch­tig sie war und dass sie nie eine so schwe­re Sün­de wie den Bruch solch eines fei­er­li­chen Gelöb­nis­ses bege­hen wer­de.

Das gefan­ge­ne Hann­chen aber war tod­un­glück­lich, dass es so allein blei­ben muss­te bei dem, der ihr in tiefs­ter See­le ver­hasst war. Schenk­te der lie­be Gott ihr zum Trost ein Kind­lein, so töte­te der Unmensch es sofort, damit das Geschrei des­sel­ben ihn nicht ver­ra­ten könn­te!

Sechs Jah­re hat­te Hann­chen schon in der Höh­le zuge­bracht, und alle Bit­ten, ihr doch zu gestat­ten, nur ein­mal wie­der durch den schö­nen Wald zu wan­dern, waren ver­geb­lich. Aber immer wie­der bat und fleh­te sie, so dass Dan­eil ihr end­lich erlaub­te, bis nach Hal­ber­stadt zu gehen. Doch muss­te sie zuvor noch ein­mal ihre Schwü­re wie­der­ho­len und ihm gelo­ben, dass sie sofort nach Son­nen­un­ter­gang zurück­keh­ren wer­de.

So schritt sie hin­aus in die Däm­me­rung eines herr­li­chen Som­mer­mor­gens. Die Schlei­er der Nacht lagen noch leicht auf Wald und Feld; kein Laut unter­brach die Stil­le. Allein die Arme eil­te has­ti­gen Schrit­tes wei­ter. Sie woll­te die Vater­stadt wie­der­se­hen und durf­te sich nicht ver­spä­ten. Nur manch­mal hielt sie inne; das über sie ver­häng­te Leid schien ihr zu schwer. Der Schwur hielt sie wie mit eiser­nen Ket­ten gefes­selt; es war ein ent­setz­li­ches Schick­sal.

So erreich­te sie Hal­ber­stadt. Träu­mend von ver­gan­ge­nen Zei­ten durch­schritt die arme Frau lang­sam die stil­len Stra­ßen. Schon woll­te sie heim­keh­ren und schritt eben über den Markt­platz, als vor ihren Augen plötz­lich der mäch­ti­ge Roland stand – das Schwert hoch erho­ben, mit dro­hen­den Bli­cken auf sie nie­der­star­rend. Ent­setzt schau­te die Unglück­li­che auf den stei­ner­nen Rie­sen, vor dem schon man­che ver­bor­ge­ne Sün­de ans Tages­licht gekom­men war. Es zwang sie wie mit eiser­ner Gewalt, sich nie­der­zu­wer­fen und um Ret­tung zu fle­hen. Ihr Herz war zu voll von erdul­de­tem Leid! Sie muss­te es erleich­tern, und der Roland war ja kein leben­des Wesen. Ihm durf­te sie beich­ten. Alles Schreck­li­che teil­te sie mit, und in der Auf­re­gung sprach sie lau­ter und lau­ter.

Ein Die­ner des Gerichts aber kam des Weges und sah vor dem Roland das knie­en­de Weib. Erstaunt blieb er ste­hen, lei­se schlich er sich dann näher, um die Knie­en­de nicht zu stö­ren. Sein Stau­nen stei­ger­te sich noch, als er hör­te, dass sie eine förm­li­che Beich­te ableg­te. Und als er sie end­lich von Tot­schlag und Mord spre­chen hör­te, da wur­de es ihm klar, dass die Aus­sa­gen die­ser Beich­ten­den zur Ent­de­ckung eines schreck­li­chen Geheim­nis­ses füh­ren müss­ten. So fass­te er sie am Arm, bot alle Bere­dungs­kunst auf, das Geheim­nis her­aus­zu­lo­cken; aber umsonst, es war ihr unmög­lich, den Schwur zu bre­chen. Da wur­de ein Pries­ter geholt, und erst nach­dem die­ser sie ihres Schwu­res ent­bun­den, offen­bar­te die Unglück­li­che ihr schreck­li­ches Leid.

Wie froh war man, end­lich des gefürch­te­ten Dan­eil hab­haft zu wer­den! Hann­chen muss­te ver­spre­chen, beim Ein­fan­gen des Schlau­en behilf­lich zu sein. Um nicht den Arg­wohn des Räu­bers zu wecken, kehr­te sei­ne Frau zu ihm zurück. Unter­wegs aber streu­te sie Erb­sen, damit die spä­ter fol­gen­den Stadt­knech­te den Weg zur Höh­le fin­den und sich in der Umge­bung ver­ber­gen konn­ten.

Nach­dem alle Vor­be­rei­tun­gen getrof­fen, hör­ten die Lau­schen­den auch bald das ver­ab­re­de­te Zei­chen, und als sie durch die Zwei­ge blick­ten, bemerk­ten sie Hann­chen, die, von dem Räu­ber gefolgt, aus der Höh­le trat. Als dann sein Weib sich auf den Rasen gesetzt hat­te, bet­te­te der gro­ße Dan­eil sei­nen Kopf in Hann­chens Schoß, um sei­ne Mit­tags­ru­he zu hal­ten. Sobald er ein­ge­schla­fen war, gab sei­ne Frau aber­mals den Knech­ten ein Zei­chen. Lei­se schli­chen sie näher. Das böse Gewis­sen aber, wel­ches Dan­eil um jeden fes­ten Schlaf brach­te, ließ ihn auch jetzt auf­fah­ren, als er ein lei­ses Knis­tern der Sträu­cher ver­nahm. Schnell sprang er vom Boden empor! Sofort stürz­te er sei­ner Höh­le zu und ver­such­te, sein Weib mit sich zu zie­hen. Die­ser gab aber die Hoff­nung auf bal­di­ge Erlö­sung aus den Hän­den des Grau­sa­men über­mensch­li­che Kräf­te; sie wehr­te sich mit aller Macht dage­gen.

Wütend, dass Hann­chen sei­ner Rache ent­kom­men war, schloss er mit Geras­sel sei­ne Behau­sung und ver­ram­mel­te sie ganz und gar. Einer der Haupt­leu­te mein­te, man sol­le den Räu­ber aus­hun­gern; doch erfuhr er bald von Hann­chen, dass ein sol­ches Vor­ha­ben sehr lang­wie­rig wer­den müs­se, da die Höh­le für lan­ge Zeit Spei­se und Trank ber­ge. Nun war guter Rat teu­er. Wirk­lich brach die Nacht her­ein, ohne dass man dem Räu­ber irgend bei­kom­men konn­te. Mit gro­ßem Beha­gen ver­speis­te der sein Abend­essen und leg­te sich dann, nicht gera­de viel beun­ru­hig­ter als gewöhn­lich, aufs Ohr, inner­lich lachend über die ohn­mäch­ti­ge Wut der lär­men­den Men­ge.

Da mach­te einer der Haupt­leu­te den Vor­schlag, man sol­le Was­ser in die Höh­le gie­ßen, um den schlau­en Patron zu erträn­ken. Unzäh­li­ge Hän­de rühr­ten sich, um den­sel­ben aus­zu­füh­ren, nach­dem zuvor eine Öff­nung in den Fel­sen der Decke gebohrt wor­den war. Doch bald sahen die Arbei­ten­den das Nutz­lo­se ihrer Bemü­hun­gen; denn durch alle Rit­zen und Spal­ten rann die hin­ein­ge­gos­se­ne Flüs­sig­keit wie­der fort. Wie konn­te man das Was­ser in der Höh­le hal­ten?

Schließ­lich kam man auf den Gedan­ken, dass ein Gemisch von Was­ser und Erde Erfolg haben müs­se. Und um die Wir­kung des Schlam­mes zu erhö­hen, wur­de aus dem Klos­ter ein gro­ßer Brau­kes­sel geholt, ein Feu­er vor der Höh­le ange­facht und mit dem Sie­den des Schlam­mes begon­nen. War er kochend, wur­de er sofort in die Öff­nung gegos­sen. Die grau­si­ge Arbeit erwies sich bald als erfolg­reich; das Toben des Räu­bers, wel­ches anfangs zu den Ohren der Hor­chen­den drang, ver­stumm­te. Jetzt wag­te man den Ein­gang zu zer­spren­gen und fand den gefürch­te­ten Räu­ber tot vor der Tür lie­gen. Die gerech­te, wenn auch grau­sa­me Stra­fe für sei­ne vie­len Ver­bre­chen hat­te ihn ereilt.

Hann­chen aber kehr­te zu ihren alten Eltern zurück, die das Glück, ihre tot­ge­glaub­te Toch­ter wie­der in ihrer Mit­te zu sehen, kaum fas­sen konn­ten. Die Zei­ten und Men­schen, wel­che die­se Vor­gän­ge erleb­ten, sind längst dahin. Nur die Fel­sen­höh­le im Wal­de und der Roland auf dem Markt erzäh­len noch von jenen Tagen.

 

Foto: pix­a­bay

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